100 Jahre Workcamps – Die Geschichte einer Friedensbewegung

1920 - 1945 

Im Herbst 1920 organisierte der Schweizer Pazifist Pierre Cérésole gemeinsam mit Gleichgesinnten das erste Workcamp. Ziel war es, beim Wiederaufbau des im Ersten Weltkrieg zerstörten Dorfs Esnes, nahe Verdun, zu helfen. Freiwillige aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz packten gemeinsam an – ein Engagement, das besonders aufgrund der deutschen Beteiligung nicht nur begrüßt wurde.
Cérésole und seine Freunde ließen sich davon nicht beirren. Gemeinsam organisierten sie weitere Workcamps, die hauptsächlich darauf abzielten, die Folgen von Naturkatastrophen zu beseitigen. Von Beginn an verfolgten sie dabei die Vision, einen internationalen Friedensdienst aufzubauen. In den Folgejahren gab es Workcamps mit internationaler Beteiligung in verschiedenen Ländern.
Die formale Gründung des Service Civil International (SCI), der ersten Workcamp-Organisation, erfolgte 1931. Schon früh gab es nationale Zweige der Organisation in mehreren europäischen Ländern. Schwerpunkt der Workcamps war zunächst weiterhin die Hilfe nach Naturkatastrophen, später aber leistete SCI auch humanitäre Hilfe z.B. für Flüchtlingskinder im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939). 
Der Zweite Weltkrieg unterbrach sehr bald die internationale Zusammenarbeit der nationalen SCI-Zweige. Der deutsche Zweig, erst 1932 gegründet, musste bereits 1933 seine Aktivitäten einstellen, einige Mitglieder wurden als bekennende Pazifist*innen verfolgt und inhaftiert. 

1945 - 1968

Bereits 1945 konnte der SCI in Deutschland wiederbelebt werden. Maßgeblich daran beteiligt war der britische Zweig, der während des gesamten Kriegs im Rahmen der Möglichkeiten sehr aktiv gewesen war und die Workcamp-Bewegung schließlich auch zurück nach Deutschland trug.
Nach dem Kriegsende entstanden in West- und in Ostdeutschland weitere Workcamp-Organisationen, die sich zum Ziel setzten, Friedensarbeit zur Überwindung nationaler Gegensätze zu leisten. Dazu gehörten sowohl Jugendorganisationen und Einrichtungen aus dem christlich-ökumenischen als auch aus dem parteipolitisch und kirchlich unabhängigen Bereich, die die Idee internationaler Freiwilligeneinsätze für ihre Friedens- und Versöhnungsarbeit aufgriffen. Auch die Jugendabteilung der UNESCO erkannte die Bedeutung dieser Art von internationaler Begegnung und gründete 1948 das Coordinating Committee for International Voluntary Service (CCIVS). An der vom CCIVS einberufenen Konferenz der „Internationalen Arbeitslagerorganisationen“ im April 1948 nahmen Delegierte von 18 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus West- und Osteuropa sowie den USA teil. Sie betonten in ihrer Definition von Workcamps erneut den bereits bei Cérésole vorherrschenden Gedanken der Völkerverständigung und des Friedens. Waren die Workcamps der Zwischenkriegszeit noch als altersunabhängige Angebote gedacht, konzentrierten sich diese Begegnungen ab 1945 vor allem auf jugendliche Freiwillige.
In der Nachkriegszeit fanden zahlreiche Workcamps zum Wiederaufbau überall in Europa statt. Allein in Westdeutschland und Berlin stieg die Zahl von rund 20 Begegnungen im Jahr 1948 auf 241 Camps im Jahr 1955, die von 17 verschiedenen Workcamp-Organisationen angeboten wurden. Auch die Überwindung der Gegensätze des Kalten Krieges war der Workcamp-Bewegung ein wichtiges Anliegen. Hier gab es vor allem Bemühungen um einen Austausch zwischen Ost und West. In Westdeutschland stießen die Pläne allerdings auf Widerstand, da die Unterstützung durch die Bundesregierung, auf deren Rückhalt man nicht verzichten konnte, nicht gesichert war. Trotz zahlreicher wichtiger Initiativen blieb der Austausch zwischen Ost und West aber lange Zeit auf Einzelprogramme bzw. -projekte beschränkt.
Insgesamt verbreitete sich die Workcamp-Bewegung in den 1950er und 1960er Jahren zunehmend über den gesamten Globus und erweiterte damit das Spektrum und die Austauschmöglichkeiten für die Freiwilligen. In Workcamps arbeiteten und lebten in der Regel 10 bis 20 Teilnehmer*innen verschiedener Nationalitäten zwischen 18 und 26 Jahren für zwei bis vier Wochen zusammen. Wichtig war, dass es sich um zeitlich begrenzte, nicht-kommerzielle und für alle Beteiligten sinnstiftende Projekte handeln sollte, die ohne die internationale Gruppe nicht finanzierbar oder leistbar gewesen wären. Durch das Workcamp sollten keine lokalen Arbeitsplätze ersetzt und die Workcamp-Teilnehmenden nicht als Billigarbeitskräfte für stupide Arbeiten oder Arbeiten, die mit Maschineneinsatz hätten erledigt werden können, herangezogen werden. 
Workcamp-Projekte in afrikanischen oder asiatischen Ländern benötigten allerdings andere Rahmenbedingungen, vor allem aber ein längerfristiges Engagement. Parallel zum klassischen Workcamp begannen daher einige Organisationen mit der Einrichtung von Langzeitprojekten für Freiwillige, die sich teilweise über mehr als ein Jahr erstreckten.

1968 - 1990

Die gesellschaftlichen Entwicklungen in den späten 1960er und in den 1970er Jahren gingen auch an der Workcamp-Bewegung nicht spurlos vorüber. In vielen Workcamps, vor allem in West- Europa, war lange die klassische Rollenverteilung erhalten geblieben, nach der die Männer die körperlich schweren Bautätigkeiten übernahmen, während die Frauen kochten, putzten und Wäsche wuschen. Diese Arbeitsteilung wurde nun zunehmend in Frage gestellt. Letztlich führte dies nicht nur zu einer gleichberechtigteren Arbeit männlicher und weiblicher Freiwilliger, sondern auch zu Workcamps, die exklusiv für Frauen organisiert wurden.
Da zudem bereits seit den 1950er Jahren kaum noch Projekte zum Wiederaufbau notwendig waren, wandten sich die Organisationen verstärkt sozialen und politischen Aufgaben und Fragestellungen zu. Erste Workcamps ermöglichten die Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Kindern.
Auch ein Motto der ersten Jahrzehnte, „Taten statt Worte“, geriet in die Kritik. Seminarprogramme und Diskussionen ergänzten in der Folge die Workcamps, um der Praxis auch die Theorie hinzuzufügen. 
Waren soziales Lernen und Selbstorganisation schon seit jeher implizit Teil eines jeden Workcamps, erweiterte sich das Themenspektrum nun um „Emanzipation der Geschlechter“, „Ökologie und Nachhaltigkeit“ und „Interkulturelles Lernen“. Vor allem die Auseinandersetzung um die fortgesetzte Ungleichheit zwischen dem globalen Süden und dem reichen Norden wurde in die Workcamps und deren Begleitseminare hineingetragen. Besonders in den 1980ern waren das aktive Engagement für Frieden und Abrüstung, der Einsatz für Menschenrechte und der Kampf gegen Apartheid zentrale Themen, die auch in den Workcamps Einzug hielten.
Durch die Entspannungspolitik der West- und Ostmächte wurde es schließlich auch leichter, Workcamps über den „Eisernen Vorhang“ hinweg zu organisieren und die Zahl der Ost-West-Begegnungen und Studienreisen nahm zu. 
In diese Zeit fiel auch die Gründung der "Trägerkonferenz der internationalen Jugendgemeinschafts- und Jugendsozialdienste", ein Zusammenschluss der Organisationen in der Bundesrepublik, die bundesweit regelmäßig internationale Workcamps als eigenständige Programmform organisieren. Damit war ein Forum geschaffen, das bis in die Gegenwart die gemeinsamen Interessen der Workcamp-Trägerorganisationen gegenüber Politik und Förderungsgeber vertritt, in dem Standards für den Austausch erarbeitet werden und in dem sich die Organisationen gegenseitig austauschen und beraten. Die einzelnen Organisationen haben bis heute spezifische Profile und Schwerpunkte. Dies erleichtert jungen Menschen die Identifikation und die Wahl eines geeigneten Trägers und stärkt ihr Engagement auch nach der Begegnungsmaßnahme.

1990 - 2020

 Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Grenzbefestigungen zwischen beiden deutschen Staaten wurden die zentralistisch geführten Jugendorganisationen in den ehemals sozialistischen Ländern aufgelöst. So entstanden unter dem Einfluss der „friedlichen Revolution“ im Osten Deutschlands zahlreiche neue Organisationen, unter ihnen erstmals auch solche, die ähnliche Programme wie die etablierten Workcamp-Organisationen in anderen Teilen der Welt durchführten. Auch Workcamp-Organisationen aus der „alten“ Bundesrepublik schufen neue Zweigstellen im Osten Deutschlands und in Osteuropa. Plötzlich unterlag der gegenseitige Austausch nur noch wenigen Restriktionen wie z.B. der Visapflicht für ausgewählte Länder. Viele junge Menschen nutzten mit großer Euphorie die Gelegenheit, ihnen unbekannte Welten zu entdecken. Der globale Austausch gewann an Bedeutung, doch auch regionale Netzwerke wurden gestärkt.
Bereits 1989 war die 1982 gegründete Alliance of Western European Voluntary Service Organisations in die Alliance of European Voluntary Service Organisations umbenannt worden. Sie blieb ihrem Ziel treu, eine breite Zusammenarbeit der Workcamp-Organisationen auf europäischer und außereuropäischer Ebene zu ermöglichen.
Alte wie neue Organisationen strebten nach einem besseren Verständnis der Freiwilligen füreinander, für ihre unterschiedlichen Lebensweisen und Kulturen, um bestehende Vorurteile und Misstrauen abzubauen und alte Feindbilder durch eine realistische Wahrnehmung aufzulösen.
In den letzten Jahrzehnten sind die Workcamp-Programme in Deutschland inhaltlich vielfältiger geworden. Förderprogramme wie „weltwärts“ für Langzeitfreiwilligendienste brachten einerseits mehr Konkurrenz, andererseits aber auch einen Entwicklungsschub, da viele Organisationen jetzt nicht nur mit internationalen Workcamps sondern auch mit den neuen Programmangeboten arbeiten konnten. Dadurch wurden die Workcamp-Anbieter in Administration, Promotion und pädagogischer Arbeit stetig professioneller.
Auch im Bereich der längerfristigen Freiwilligendienste vertieften sich die Diskurse rund um die Sinnhaftigkeit und die Inhalte von Freiwilligendiensten, selbst liebgewordene Glaubenssätze wurden und werden auf den Prüfstand gestellt: Aus „Hilfe für die Dritte Welt“ wurde Kritik an postkolonialen Strukturen, aus Sorge um Benachteiligte wurde Inklusion und die Auseinandersetzung mit Diskriminierungen jedweder Art.
Die Workcamp-Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland erhalten seit vielen Jahren aus öffentlichen Fördermitteln eine Unterstützung für die Durchführung ihrer Programme. Das wichtigste Förderinstrument ist dabei der Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) des Bundesjugendministeriums. Er fördert die Teilnahme ausländischer und deutscher Teilnehmer*innen an Workcamps sowohl in Deutschland als auch weltweit. Diese Unterstützung für den internationalen Jugendaustausch ist beispielhaft in Europa und bildet das Fundament für die projektorientierte internationale Jugendarbeit der pluralistisch geprägten Workcamp-Organisationen.
Bis heute dauert das Engagement der Workcamp-Bewegung an, getragen von Freiwilligen, die ihre Erfahrung als prägend weit über die Dauer des eigentlichen Camps hinaus erleben. Unzählige internationale Freundschaften, Beziehungen und Ehen nahmen in den Workcamps der vergangenen hundert Jahre ihren Anfang, und nicht wenige ehemalige Freiwillige ermutigten später ihre Kinder und Enkelkinder, eine solche Erfahrung zu machen. Das Ziel der Workcamp-Bewegung ist so aktuell wie vor 100 Jahren: mit gemeinsam verrichteter Arbeit den Austausch zwischen jungen Menschen unterschiedlicher Nationalität zu fördern – für mehr Verständigung und Frieden in der Welt.

Redaktion: Corinne Hocke, Vertreter*innen der Trägerkonferenz 2020