Aktuelle Positionen der Trägerkonferenz

Internationale Workcamps sind seit mehr als 100 Jahren ein wichtiges Lern- und Entwicklungsfeld für junge Menschen. Sie unterstützen vielfältige lokale Projekte und setzen in den Projektorten neue Impulse. Sie tragen gesellschaftlich zu Frieden, Verständigung, Kooperation und Nachhaltigkeit bei und helfen mit, Nationalismus und Rassismus zu überwinden.

Trägerkonferenz der Internationalen Jugendgemeinschafts- und Jugendsozialdienste

Die Trägerkonferenz ist die gemeinsame Plattform der gemeinnützigen Workcamp-Organisationen in Deutschland. Die einzelnen Organisationen arbeiten überregional und eigenständig oder als Untergliederungen großer Jugendverbände. Sie sind als freie Träger der Jugendhilfe anerkannt. Viele von ihnen sehen ihren Schwerpunkt in der internationalen Jugendarbeit und arbeiten in unterschiedlichen internationalen Netzwerken verlässlich und kontinuierlich mit ihren ausländischen Partnern zusammen. Gemeinsam gestalten die deutschen Workcamp-Organisationen nationale und internationale Jugendpolitik und Jugendhilfe mit.

Die einzelnen Organisationen haben spezifische Profile und Schwerpunkte. Dies erleichtert jungen Menschen die Identifikation mit dem jeweiligen Träger und dessen Angeboten und motiviert für ein Engagement auch über die Zeit eines internationalen Workcamps hinaus. Die Träger bieten dazu vielfältige Möglichkeiten an, die von den Jugendlichen gleichzeitig als Qualifizierung genutzt werden, z. B. in der pädagogischen Begleitung von Workcamps und Seminaren, bei der organisatorischen Planung und Umsetzung von Einzelprojekten und bei der programmatischen Mitarbeit auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Trägerkonferenz unterstützt ihre Mitglieder in der inhaltlichen, strukturellen und qualitativen Weiterentwicklung von Angeboten. Sie bündelt vorhandene Kompetenzen und ermöglicht einen gemeinsamen Dialog mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und anderen Akteuren über die Ausgestaltung internationaler Jugendarbeit und ihrer zielführenden Förderung.

Darüber hinaus macht die Trägerkonferenz internationale Workcamps bekannter und ihre Potentiale sichtbar und erleichtert Interessierten und neuen Zielgruppen den Zugang.

 

Internationale Workcamps

Dieses besondere Format internationaler Jugend- und Freiwilligenarbeit verknüpft „Begegnungen in Gruppen“, „Soziales Engagement“ und „Mit- und voneinander lernen“. Der englischsprachige Begriff Workcamp wurde vor allem in der US-amerikanischen Gruppenpädagogik in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt und zeugt von den Bemühungen um eine demokratische Erziehung der jungen Generation nach dem Faschismus. In der internationalen Jugendarbeit hat sich der Begriff trotz seiner Mehrdeutigkeit etabliert und bis heute erhalten.

In Workcamps lebt und arbeitet eine Gruppe junger Freiwilliger aus verschiedenen Ländern für ein bis drei Wochen in der Regel selbstorganisiert zusammen. Das gemeinsame und unentgeltliche Arbeiten an einem gemeinnützigen Projekt dient selbst als Medium für soziales und interkulturelles Lernen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Renovierungsarbeiten oder den Bau von gemeinnützigen Projekten wie Spielplätze, um ökologische Einsätze wie Dünen- und Küstenschutz oder Forstarbeiten, um soziale Unterstützung bei Ferienprogrammen für Kinder oder um eine mehr themenbezogene Auseinandersetzung – zum Beispiel im Rahmen von Gedenkstättenprojekten. Bedeutsam ist, dass es grundsätzlich keiner projektbezogenen Vorerfahrung oder besonderen handwerklichen Geschicks seitens der Freiwilligen bedarf. Kooperationspartner sind Kommunen, Vereine und Initiativen. Damit wirken Workcamps auch auf das lokale Umfeld des jeweiligen Projektortes und beziehen die örtliche Bevölkerung mit ein.

Seit 1920 haben allein in Deutschland tausende Workcamps unter wechselnden historischen Vorzeichen stattgefunden. Themen und Inhalte spiegelten stets auch die jeweils aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Konflikte wider. Stand nach den beiden Weltkriegen die Hilfe beim Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur im Vordergrund, so fanden im Laufe der Jahrzehnte auch die Aufarbeitung der (deutschen) Vergangenheit und der Kalte Krieg, der Aufbruch der 68er und das Ausprobieren alternativer Lebensweisen ebenso ihren Widerhall wie aktuelle Themen: Umweltschutz, nachhaltige Lebensweise und Klimagerechtigkeit, internationale Solidarität, Wertschätzung von Diversität, Inklusion und Gendergerechtigkeit sowie der Einsatz für eine offene, sozial gerechte und demokratische Gesellschaft. So haben Workcamps ihren innovativen Charakter bewahrt und strahlen auf andere Felder der nationalen und lokalen Jugendarbeit aus.

 

Workcamps wirken…

… auf die persönliche Entwicklung

Die Freiwilligen machen oft zum ersten Mal die Erfahrung, in einem gesellschaftlich sinnvollen Projekt etwas mit ihren eigenen Händen zu schaffen. Sie erleben handwerkliche Herausforderungen, entwickeln Spaß bei körperlicher Arbeit und sind stolz auf das gemeinsame Vollbrachte.

In diesem Kontext vermitteln Workcamps Informationen über Natur und Umwelt, Denkmalschutz und Erinnerungskultur, Gesundheits-, Sozial- und Schulsysteme. Die Freiwilligen setzen sich darüber hinaus mit dem gesellschaftspolitischen Kontext ihres Einsatzprojektes auseinander.

Das Leben in einer internationalen, diversen Gruppe konfrontiert die Freiwilligen mit anderen und ungewohnten Blickwinkeln und Einstellungen. Eigene Positionen und Selbstverständlichkeiten werden hinterfragt. Manche Teilnehmende erfahren sich darüber hinaus selbst anders, als sie es in ihrem eigenen sozialen Umfeld gewohnt sind oder gespiegelt bekommen. Oft erhalten sie neue und wertvolle Rückmeldungen, zumeist auch Wertschätzung. Damit unterstützen Workcamps den persönlichen Entwicklungsprozess und stärken Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, Team-, Gesprächs-, Konflikt- und Entscheidungskompetenzen. Der Erwerb realistischer Eindrücke und Kenntnisse über das Gastgeberland, Erfahrungen und Austausch mit anderen Kulturen und die - meist en passant erfolgende - Stärkung der Fremdsprachenkompetenz sind weitere Gründe für die Attraktivität von Workcamps. Das Erlebnis von Selbstwirksamkeit bei der Arbeit und die vielfältigen Chancen zur Partizipation werden häufig als Meilensteine in der persönlichen Entwicklung erlebt.

… und auf die Gesellschaft

Über 300.000 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten die Freiwilligen aus aller Welt alljährlich allein in Deutschland. Bereits diese Zahl macht deutlich, in welcher Dimension Workcamps wirksam sind. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte werden dadurch vorangebracht. Viele Kooperationspartner binden Workcamps gezielt in längerfristige Planungen ein oder integrieren die Erfahrungen aus Workcamps in Lern- und Bildungsprozesse junger Menschen.

Durch Workcamps erhalten lokale Kooperationspartner und die örtliche Bevölkerung vielfältige Impulse. Für diese bedeutet die Begegnung mit den internationalen Freiwilligen oft ein anderes und manchmal erstmaliges Kennenlernen von Menschen aus fremden Ländern. Durch die Zusammenarbeit und das materielle Arbeitsergebnis strahlt ein Workcamp positiv auf den Projektort aus, kann lokale Akteure vernetzen und das aktive Engagement von Bürger*innen und den Zusammenhalt in einer Kommune oder einer Initiative stärken.

Gleichzeitig stärken Workcamps Solidarität, Verständigung und Kooperation zwischen Kulturen, Gesellschaften und sozialen Gruppen und fördern so den Frieden. Mehr über sich und andere zu lernen bedeutet, Vorurteile zu erkennen und zu relativieren sowie gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dem wird angesichts vielfältiger Herausforderungen (Klimakrise, Auseinanderdriften des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Aufrüstung und nicht zuletzt die Corona-Pandemie) in den kommenden Jahren eine wachsende Bedeutung zukommen. Das Erlebnis von Partizipation und interkultureller Begegnung in Workcamps schafft bei den Freiwilligen eine Offenheit, die sich nach ihrer Rückkehr auf das dortige soziale und gesellschaftliche Gefüge positiv auswirken kann.

 

Was ist zu tun? - Herausforderungen und Handlungsbedarf

Workcamp-Organisationen dauerhaft finanziell stärken

In den kommenden Jahren wird das Potenzial internationaler Workcamps sowohl für die Unterstützung lokaler Projekte und Vorhaben als auch als Begegnungsort für junge Menschen von besonderer Bedeutung sein. Dies gilt angesichts gesteigerter Nationalismen, dem Auseinanderdriften Europas und der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit in besonderem Maße. Deshalb ist es unabdingbar, die Struktur der Workcamp-Organisationen nicht nur aktuell zu sichern, sondern dauerhaft finanziell zu stärken.

Darüber hinaus stellt die Corona-Pandemie die Workcamp-Organisationen vor existentielle Herausforderungen. Hier erwiesen sich die flexiblen Übergangsregelungen des BMFSFJ als sehr hilfreich. Die Träger wünschen sich zur Bewältigung der Krise weiterhin diese dringend notwendige Unterstützung.

Mobilität über Grenzen hinweg ermöglichen

Die Teilnahme an einem internationalen Workcamp scheitert viel zu häufig an den Hindernissen der Visaerteilung. Wir fordern, dass die Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden und grundsätzlich kostenfrei sind. Darüber hinaus fordern wir, dass die Workcamp-Organisationen nicht mit Übernahmeverpflichtungen von unkalkulierbaren Kosten belastet werden.

Klimabewusstes Reisen fördern

Mobilität ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Ohne persönliche Begegnung sind die oben genannten Ziele nicht zu erreichen. In Zeiten, in denen gerade bei der jüngeren Generation das ökologische Bewusstsein steigt und der Klimaschutz stärker in den Fokus rückt, entsteht ein Widerspruch, wenn ein Großteil der Freiwilligen mit dem Flugzeug reist. Ein nachhaltiges und klimabewusstes Mobilitätskonzept auf nationaler und internationaler Ebene für den Jugendaustausch ist daher dringend erforderlich; gerne bringt die Trägerkonferenz ihre Erfahrungen im Dialog mit den politischen Handelnden ein. Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative des IJAB, Green Mobility zum zentralen Punkt der jugendpolitischen Agenda zu machen.

Bürokratie abbauen

Die Workcamp-Organisationen sehen sich mit seit Jahren zunehmender Bürokratisierung konfrontiert. Steigende Anforderungen an das Verwaltungs- und Berichtswesen wurden nur geringfügig kompensiert. Die dafür gebundenen Ressourcen stehen dadurch nicht für die inhaltliche Arbeit zur Verfügung. Hier sollten in Absprache mit der Trägerkonferenz weitere Verwaltungs- und Fördervereinfachungen angegangen werden.

Zugänge eröffnen und Engagement anerkennen

Internationale Workcamps bieten ein gesellschaftlich wichtiges Lern- und Entwicklungsfeld für junge Menschen, die sich dort auf lokaler Ebene für die Gesellschaft engagieren.

  • Die Workcamp-Organisationen sollten darin unterstützt werden, Informationen über Workcamps in Schulen und Ausbildungseinrichtungen an die Zielgruppe zu vermitteln. 
  • Um allen jungen Menschen in Deutschland einen Zugang zu Workcamps zu eröffnen, ist es erforderlich, u.a. soziale und sprachliche Barrieren abzubauen und Inklusion zu fördern. Dies erfordert eine gezielte Ansprache bisher unterrepräsentierter Gruppen und einen an individuellen Bedürfnissen ausgerichteten Vorbereitungs- und Begleitprozess zur Überwindung der Barrieren. Hierfür müssen die Ressourcen der Workcamp-Organisationen gestärkt und Aufwendungen für individuellen Mehrbedarf gedeckt werden.
  • Jeder junge Mensch, der sich in Workcamps engagieren möchte, sollte dies auch tun können. Deshalb sollten geeignete und vor allem unbürokratische Freistellungs- und Sonderurlaubsregelungen für Auszubildende, Studierende, Schüler*innen und junge Beschäftigte als wichtiges Zeichen der Anerkennung dieses Engagements geschaffen werden. Gerade öffentliche Einrichtungen und Betriebe sollten dabei mit gutem Beispiel vorangehen und Auszubildende für die Teilnahme an internationalen Workcamps in Deutschland oder im Ausland freistellen. 
  • Schulen, Hochschulen und Arbeitgeber sollten die Teilnahme an einem internationalen Workcamp als wertvolle (Lern-) Leistung anerkennen.

 

Die in der Trägerkonferenz zusammengeschlossenen Organisationen wünschen sich auch für die Zukunft die wertschätzende Anerkennung und finanzielle Unterstützung, da sie davon überzeugt sind, dass internationale Workcamps auch in den nächsten 100 Jahren wichtige gesellschafts-politische Impulse setzen.

 

Stand der Ausarbeitung: November 2020